Es ist 03:12 Uhr und ich starre die Raufasertapete an. Wie die Wolken zeichnen sich auch an ihr raue Umrisse von Gestalten ab. Als ich klein war drückte mir mein Vater den Bleistift in die Hand und so ging ich stundenlang auf die Jagd nach weißen, rauen Hasen, während im Zimmer neben an laut gestritten wurde.
Das ticken der Uhr erinnert mich tadelnd daran, dass in 3 Stunden der Wecker klingelt. Meine innere Uhr spielt verrückt durch den Jetlag. Damals noch ein Zeichen dafür, dass die Welt aufregend, lebendig und interessant ist. Heute, eine stille Erinnerung an eine anstrengende Arbeitswoche.
Letzte Woche bin ich 25 geworden. 10 Jahre sind vergangen, seit ich mich damals beworben habe. Es ist nicht das erste mal, dass ich darüber nachdenke wie mein Leben jetzt aussähe, hätte ich mich anders entschieden. Selbst jetzt kann ich nicht abschließend bewerten, ob ich richtig gehandelt habe.
Tick, tick, tick. Die Zeit rennt. Während ich so durchs Internet scrolle fällt mir ein, dass es diesen Blog ja noch geben muss. Es sind Jahre vergangen seitdem ich das letze mal hier rein geschaut habe. Ich kann mich nur vage daran erinnern, was mein 16 Jähriges ich auf die Tastatur eines alten HP Klotzes getippt hat. Ich habe allerdings nicht vergessen, welche Glaubenssätze mein Teenager- Ich mit sich trug. Erickson hatte wohl doch recht, als er postulierte, dass Exploration der Identität als Krise verstanden werden kann. Die Welt ist nicht schwarz und weiß, vielmehr birgt sie ein facettenreiches, Smog- lastiges grau. Erwachsen werden ist nicht einfach und es zu sein wird nicht leichter. Zumindest ist es noch nicht leicht geworden.
Die Idee, dass mich dieser 2000er Vibe- Blog bis zur Rente begleitet, erheitert mich. Wer hätte gedacht, dass die 90s Kids nochmal trendy werden. Mein Blog wird bei Informatiker-Archäologen irgendwann der Schrei des Jahres. Ein Artefakt oder wie meine Generation nach mir jetzt sagen würde- cringe.
Mit jeder Zeile fühlt sich mein Herz nicht mehr so schwer an. Reue. Was für ein dämliches Wort. Spricht man es langsam aus, dehnt es wie ein alten Hubba Bubba Kaugummi, so hinterlasst das Wort den gleichen Geschmack auf der Zunge wie im Herz. Mein Akademiker Gehirn sträubt sich bei der Formulierung, denn sind es doch unsere Gedanken die uns zäh wie ein alter Kaugummi im Kopf kleben bleiben und manifestieren sie sich doch in unserem Neocortex. Der arme Hohlraum Muskel, kann ja schlussendlich nichts dafür, vielmehr sollte ich die Evolution meines Gehirns verdammen. Es muss schön gewesen sein als Homo erectus auf dieser Erde zu wandeln. Entwickeln wir uns nach dem neusten Stand des westlichen Flynn- Effekts, so komme ich Vielleicht sogar noch in den Genuss, den anscheinend schon einige meiner Mitmenschen erleben dürfen.
Um das ganze ein bisschen in eine zeitliche Timeline zu rücken, so ist unsere Spezies gerade dem Tod nochmal von der Schippe gesprungen. Hätte man damals die Menschen, die die spanische Grippe überlebt haben, interviewt, so bin ich mir fast sicher, dass diese etwas dankbarer geantwortet hätten als manch so einer das heute tun würde. Geben wir doch zu: Covid hat die Evolution kräftig ankurbelt und eine neue Gattung von Schwurblern, Nichts-Gönnern und Pessimisten kreiert. Zu letzterem würde ich mich auch einordnen, was mein Therapeut vermutlich nicht so lustig findet.
Wie soll man die Sonne sehen, wenn die Welt doch grau ist? Kein richtig und kein falsch. Kein Gut und kein böse und zum Schluss bekommt man nicht mal mehr an Weihnachten richtige Geschenke. Du weißt, du wirst auch von deiner Familie als Erwachsene Person wahrgenommen, wenn du dann zu Weihnachten ein selbst getöpfertes Geschirr Set von deiner Mutter bekommst. Während meine Gedanken kreisen, ob dieses Geschirr Set wohl in einer, für mich gegenüber nicht bekannten, Therapie Sitzung entstanden ist, blinkt mein Handy mit der nächsten Überraschung.
,Matz and I are pregnant‘. Auch wenn ich in diesem Moment zuerst denke, dass es für Matz anatomisch nicht möglich ist schwanger zu sein, versuche ich mich der Situation anzupassen und meine hoch schäumende Panik zu unterdrücken. Ich antworte deshalb mit der Nächstliegenden Frage, die da wäre: , Oh Shit, have you told your Mom yet?‘. Send. Darauf folgt ein entrüstetes ,No of course not, I’m 26 Tilia ?!‘. Ich schiebe dem ganzen noch schnell einen Vorwurf hinterher und frage traurig, was denn mit unserem Festival Aufenthalt beim Woodstock ähnlichen ,Burningman‘ sei. Ich hatte mir schon ausgemalt wie ich dann mit Anfang 30 Kopf über in ein Riesen Berg aus Kuscheltieren springe, während mir der Sand Nevadas auf das Gesicht peitscht. Der erste Schock ist verdaut, zumindest war er das, bis ich das erste Bohnen- ähnliche, Delfin ohne Arme animierte Bild geschickt bekommen habe. Mittlerweile freue ich mich und Peanut ist schon jetzt stolzer Besitzer eines Kartoffel bedruckten Bodys. Atmen. Die Erde ist rund und dreht sich und wir alle werden älter. Flat earther und Peter Pan Schreiben mir just in diesem Moment Drohmails, aber Science is Science and Schwanger sein freaks me the fuck out.
Würde man meine Deutschlehrerin fragen, so würde diese nicht nachvollziehen können, wie ich es in den Folterkasten der Deutschen Hochschulpolitik geschafft habe. ,Freaks me the fuck out‘ ist so passend, dass ich diesen Satz auch gerne in einer zukünftigen Disseration verwenden würde. Der Zusammenhang ist schlicht egal, denn der Satz passt immer.
Mittlerweile hab ich, wie eine Erwachsene Person das so tut, den Wecker ermahnt nicht so laut zu ticken, denn ich versuche mich schließlich auf mein eigenen Gedanken- Salat zu konzentrieren. Produktivität ist mittlerweile toxisch und begleitet mich auch bis in die Nacht. Gerne würde ich wieder mit dem Füßen tief eingebuddelt in der Erde sein, den Himmel nach neuen Möglichkeiten und Abenteuern absuchend, bis der erste Sonnenstrahl der Krümmung der Erde entweicht. Dieses Gefühl an einem lichten Sommermorgen, müde, aber glücklich auf dem Weg nach Hause.
Don’t fear the future, your best days are yet to come. Leider hat keiner meinem jüngeren ich mitgeteilt, dass dieser Satz einhergeht mit ,but so do your worst‘. Mittlerweile bin ich mehrere Schritte weiter und ergänze diese Konstrukt um folgendes:
,Don’t fear the future, your best days are yet to come, but so are your worst. Don’t fear the future, accept the thing you cannot change and change the things you can.‘
Jetzt habe ich so viele Worte mit dir gewechselt und doch nichts gesagt. Ja, du.
Tick, Tick, Tick.
Tili